Dislokationen verlaufender Spuren

Vertraute man auf die Motive, wäre jede Wegsuche durch die Gemälde Michael Weissköppels vergebens. Nicht nur, dass wir Unaufregendes identifizieren können, wie Autos und Werkhallen oder Beiläufiges wie Straßenszenen und Werbeplakate – auch die malerische Ausschmückung ist fern jener Dramatik, die signalhaft auf den ereignisreichen, Orientierung gebenden Augenblick zielt. Was aber ist es, dass die Bilder es dennoch nahelegen, mehrfach gesehen zu werden, welche Unruhe erfasst das Empfinden nach und bereits während der Begegnung mit den verblassenden Ausschnitten und Reduktionen des Vorübergehenden?

Gemalte Bilder sind stets eine Auseinandersetzung mit Farbe und Fläche, mit Illusionen in Raum und Zeit, mit vorhandenen und verborgenen Motiven, mit Zeichen und Gesten. Sinnliche Erfahrungen konfrontieren mit Erinnerungen, Ausschnitte materieller Substanz stehen neben abstrahierten Unendlichkeiten. Je nach Entscheidung werden dinghafte Einschließungen favorisiert oder ausgedehnte Feiern der Farben zum Thema. Malgestus und Temperament spielen eine Rolle – je nach Entscheidung aufgeladen oder bis zum Verschwinden reduziert. Das Bild der Malerei hofft auf ein aktives Sehen und das Sehen bringt dann den Körper ins Spiel, wenn es die Bilderfahrungen umzumünzen versteht, in ein Neuorientieren der Wahrnehmung. Letzteres ist ein Unterfangen, dem sich auch Michael Weissköppel zuwendet, mit Neuorganisationen aller genannten Parameter.

Die erste Neuorientierung ist der Entzug im Aufnahmereflex des Bekannten. Die Entkonturierungen spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie gehen Hand in Hand mit der Entfokussierung einer Raumtiefe, die – wie das noch erkennbare Motiv – nur in Andeutungen existiert und einen Sehgrund verweigert. Resultat ist, dass der Blick zu schwimmen beginnt und nach Haltepunkten Ausschau hält, wie ein Ertrinkender nach Treibgut. Das die Farbtemperaturen abkühlende, die Werke verbindende und durchgehend eingesetzte Weiß wird zur Unendlichkeit einer unbekannten Größe, die nicht einfach als Schnee, Licht oder Blendung durch reflektierendes Glas zu identifizieren ist. Alles wird Fassade, dient dem Abgleiten des Blicks, gerät zur Oberfläche ohne Benutzerhinweise: Dislokationen verlaufender Spuren.

Die Motive verlieren sich im Irgendwo gesehener Bilder, deren Grund in den Datenräumen und Informationslandschaften der Internet-Kultur abhanden gekommen ist. Fotos, die als Vorlage dienen, werden mit trockener Acrylmalerei ihrer Zeugenschaft und Unmittelbarkeit entkleidet. Zugleich ist ein Ausklammern malerischer Valeurs zu vermelden.

Diese Doppelstrategie erreicht der Maler durch eine Tabuverletzung am Bild orientierter ästhetischer Erkenntnis: Weissköppels Malerei verzichtet, ja boykottiert jegliche Tiefenspannung, sei es von der Konstruktion der fotografischen Räume her, sei es von den Farben her gesehen, deren Überlagerungen sie umgeht: keine irisierenden Farbsignale aus der Tiefe deuten eine verborgene Botschaft an, keine Leuchtkraft entfaltet sich aus der Tiefe der Farbschichten. Reduzierte Malgesten geben den Farb-Plätzen nur soviel Energie zur Entfaltung, dass sie im Dialog mit ihrem möglichen Verschwinden noch Anwesenheit bezeugen.

Indem zusätzlich auf sensationelle Effekte verzichtet wird – Weissköppel meidet die grellen, Signal setzenden Farben ebenso wie die geheimnisvollen Zwischenräume – deutet sich ein anderer Weg des Bildermachens und -sehens an. Die Oberfläche ist es, die aus den Resten der Raumverlorenheit hervortritt, nicht jedoch als Farbfläche oder als reine Geste des Malens, sondern als Prinzip des Durchleuchtens verschlissener Spuren, die selbst noch abgesenkt im Alltag das Bedeutungsvolle versprechen. Die Leerzonen weißer Flächen, deren pastellfarbene Begleiter nebst entkonturierter Reflexzonen hellen Lichts, werden zur Parabel für eine Wahrnehmungsrealität, in der zwar alles gleichgültig geworden ist, die sich jedoch – zwischen Coolness und Haltlosigkeit schwankend – dem eingefrorenen Stillstand der Gefühle durch Handeln zu entwinden sucht. Der Zweifel wird zu einem Ergebnis des Sehens und gleitet zum Erkennen innerhalb eines malerischen Prinzips, welches das Resultat des Malens selbst befragt.

Beim Durchmalen im Medienalltag vernutzter Bilder wird von Michael Weissköppel zunächst jene Seite des “Sichtbarkeitsgebildes” aufgelöst, die das Bild zum Trugbild werden läßt. Indem jedoch allen Verweisen und Versprechen die Kraft entzogen wird, eröffnet sich ein Weg zu jener deutungsfreien, keineswegs energielosen Zone, die als Bildmagie bezeichnet wird und ebenso unbesetzte wie beflügelnde Anregungen nach außen freizugeben vermag. Mit dem Entzug der Wahrnehmungsbestätigung erneuert sich zugleich eine Bildschicht, die vom ästhetischen zum reflektierenden Charakter eines Bildes übergleitet, indem sie neue Impulse für den kritischen Blick enthält und so zu einem bewegenden Movens gerät. Die Reduktion der Farbigkeit mit ihren das Motiv zerlaufenden Spuren ist diesbezüglich die Keimzelle für einen Anschauungsprozess, der das Farbensehen über das Bild hinausführt und es somit zu einem performativen Ort der Wendungen, zu einem Ort des Überschreitens macht.

Ausstellung im Kunstverein Wolfenbüttel, Eröffnungsrede von
Martin Roman Deppner